Die BLS will bis 2022 den besten Kunden-Service im öffentlichen Verkehr Schweiz bieten.
Jedes Jahr nutzen rund 68 Millionen Fahrgäste die Bahnen, Busse und Schiffe der BLS. Das Mobilitäts-Unternehmen mit Sitz in Bern bewegt zudem jährlich 22’000 Güterzüge, betreibt ein 420 Kilometer langes Schienennetz und kümmert sich zusätzlich um ihre eigenen Immobilien – kurz: Die 3400 Mitarbeitenden haben alle Hände voll zu tun, um ihren Kundinnen und Kunden ein positives Reiseerlebnis zu ermöglichen. Das Unternehmen steht zudem vor einer besonderen strategischen Ausgangslage – und dies nicht erst seit Corona: Einerseits will es Kunden mit innovativen Dienstleistungen und einem kundenzentrierten Fokus begeistern und gleichzeitig mit einem tiefgreifenden Effizienzprogramm die Fitness steigern. Auch im Kundeninteraktionsmanagement muss die BLS dabei besondere Herausforderungen bewältigen: Die Anzahl an Inbound-Kundenkontakten wächst jährlich um rund 10–12% (derzeit sind es mehr als 400’000), und diese finden zunehmend über neue Kanäle wie Facebook, Twitter oder Instagram statt. Die Ansprüche der Kunden wachsen ebenfalls. Der Kundenservice muss neuen Anforderungen genügen. Der einzelne Kunde erwartet, massgeschneiderte und personalisierte Lösungen zu bekommen. Gemäss internen Vorgaben muss dies bis 2025 geschafft werden, ohne mehr Personal einzustellen, um auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu erfüllen. Also muss die Effizienz steigen. Und das geht nur über neue Formen der Zusammenarbeit, Prozessoptimierungen, Einsatz von «state of the art»-IT-Lösungen und weitergehenden Automatisierungen in den kommenden Jahren.
Der Customer Circle der BLS
Neben dem Customer Experience Management (CEM) und dem Customer Relations Management (CRM) hat das Customer Care Center (CCC) innerhalb der durchgehenden Customer Journey entlang der gesamten BLS-Reisekette eine zentrale Bedeutung. Dieses zu reformieren und an die Anforderungen der Zukunft auszurichten, wurde zu einem exemplarischen Leuchtturm-Vorhaben für die gesamte Strategie-Umsetzung bei der BLS.
Die Basis bildete eine tiefgreifende Re-Organisation des Geschäftsbereichs BLS Personenmobilität im Jahr 2018, in der bewusst von einer bisherigen Spartenorganisation (Bahn, Bus, Schiff, Autoverlad) auf eine kundenzentrierte Organisation entlang einer durchgehenden Customer Journey umgestellt wurde, ein übergreifendes CEM-Team gebildet wurde, welches diese Customer Journey übergreifend mit Zielvorgaben steuert und das CCC (inkl. Kundendatenmanagement) auf Bereichsleitungs-Stufe angehoben wurde. Als zweiter Schritt wurde eine kundenzentrierte Arbeitsweise bei der BLS Personenmobilität verankert – der Customer Circle. Im CEM-Team wurde die vielfältige BLS-Kunden-Landschaft mit sehr unterschiedlichen Bedürfnissen mittels Marktanalysen und Umfragen auf sieben typische Kundensegmente – die BLS Personas – reduziert. Dem CRM-Team ist es im Anschluss gelungen, auf Basis eines Machine Learning-Algorithmus (mit künstlicher Intelligenz) diese BLS-Personas den realen Kunden in der Kundendatenbank zuzuordnen. Abschliessend haben wir diese zusätzlichen Informationen unseren Agenten im CCC zugänglich gemacht, welche unsere Kunden damit noch individueller und persönlicher betreuen können. Sobald sich ein Kunde meldet, erscheinen am Bildschirm des Agenten Angaben zur Kundenhistorie und zu seinen Präferenzen. Wir wissen zum Beispiel, mit welchem Abo der Kunde unterwegs ist und wo er seine Tickets kauft (klassisch am Schalter / Automaten oder digital). Während wir in der Vergangenheit allen Kunden – zum Beispiel als Entschädigung für eine Verspätung – einen Gutschein zugestellt haben, können wir nun deutlich massgeschneidertere Lösungen finden. Preisaffine Kunden haben weiterhin Freude an einem Gutschein, informationsaffine lassen sich durch eine vertiefte Auskunft überraschen, komfortaffine allenfalls durch ein Upgrade in die 1. Klasse begeistern und wiederum andere suchen schlicht und einfach einen menschlichen Kontakt. Dieser personalisierte Kunden-Service leistet durchaus auch einen Beitrag an die Wirtschaftlichkeit der BLS, in dem damit die Cash out-Kosten im CCC reduziert werden können. Mit dem innovativen Customer Circle ist die BLS für den Customer Relations Award 2020 in der Kategorie «Customer Experience» nominiert.
Die Umsetzung im CCC: Organisation/Change/Transformation und IT-Lösung
Im Customer Care Center selbst wurde die Umsetzung des Customer Circles durch ein mehrjähriges Projekt mit zwei Haupt-Stossrichtungen begleitet: Einerseits wurden dezentrale Stellen fachlich und prozessual in die Customer Care-Organisation der BLS eingebunden. Neben dem zentralen Kundendienst in Bern nehmen nun auch die Reisezentren in Kandersteg, Spiez, Thun, Bümpliz-Nord sowie das Produktmanagement Autoverlad Customer Care-Aufgaben wahr, so dass die anfallende (und nach wie vor steigende Arbeitslast) auf mehr Schultern verteilt werden kann und punktuelle Auslastungslücken in den dezentralen Reisezentren besser für die Bearbeitung von Kundenanfragen genutzt werden können, wenn die Schalter gerade nicht besucht sind. Diese tiefgreifende Veränderung in der Arbeitsweise wurde von einem Change- und Transformations-Team und mittels mehreren Schulungs-Sequenzen intensiv begleitet – ein zentraler Erfolgsfaktor für die erfolgreiche Umsetzung des Vorhabens. Neben der Kundenberatung am Schalter erteilen die Mitarbeitenden vor Ort nun auch über andere Kanäle Auskünfte, bearbeiten Kundenreaktionen und erbringen Kundensupport. Um diese neue dezentrale Customer Care-Organisation überhaupt erst möglich zu machen, bedurfte es als Voraussetzung einer vollständig neuen IT-Lösung. Entsprechend bildete die Beschaffung und Einführung einer Omnichannel-Lösung mit integriertem Ticketingsystem das zweite wesentliche Standbein des beschriebenen CCC-Projektes.
Die IT-Lösung – eine SaaS-basierte Omnichannel-Lösung
Für eine erfolgreiche Umsetzung des Leuchtturm-Vorhabens brauchte die BLS als technisches Fundament ein Omnichannel-Tool mit integriertem Ticketingsystem, eine SaaS-basierte Cloud-Lösung wurde angestrebt, die das bestehende Legacy-System ablösen sollte, welches die BLS für das Kundenreaktionsmanagement jahrelang eingesetzt hatte. Da wir damit als erstes Cloud-Projekt für die BLS überhaupt eine Pionierrolle einnahmen, lief die Umsetzung nicht ohne interne Diskussionen ab. Sorgsam musste sich die BLS mit Beschaffungsvorgaben, rechtlichen Fragestellungen, IT-Security- und Datenschutz-Vorgaben sowie zuletzt auch mit Regulations- und Reputations-Themen auseinandersetzen. Aber auch unser eigenes Beschaffungs-Verhalten mussten wir flexibel gestalten: In einer ersten Ausschreibungs-Runde haben wir ganz klassisch rund 180 Anforderungen detailliert in einem Pflichtenheft aufgelistet, mit dem Ergebnis, dass keine einzige valide Bewerbung eines globalen SaaS-Anbieters eingegangen ist. Im zweiten Anlauf waren dann – passend zum internen Kulturwandel in Richtung einer agilen Organisation – die wichtigsten User-Stories zusammengefasst und markant beschrieben. Daraus ging hervor, was das System zwingend können muss. Sechs Bewerbungs-Dossiers von potenziellen Anbietern trafen ein, aus denen das Evaluationsteam anhand vordefinierter Kriterien bewertete, welche Lösung die Anforderungen am besten erfüllte und so den Zuschlag schlussendlich erhielt. Bestandteil der Investition war u.a. auch eine Plattform für das Wissensmanagement. Kunden können dort 24/7 Unterstützung beim digitalen Self-Service finden. Die Agenten im BLS-Kundeninteraktionsmanagement nutzen dasselbe Tool auch als interne Knowledge Base.
Ausblick bis zum Zielbild 2022
Bis zur Erreichung unseres Zielbilds, den besten Kunden-Service im öffentlichen Verkehr in der Schweiz zu bieten, sehen wir weiteres Effizienz-Steigerungspotenzial, welches wir mit zusätzlichen Automatismen, selbstlernenden prozessunterstützenden Tools und mehr Hilfe zur Selbsthilfe erschliessen wollen. Dazu haben wir im August 2020 ein Nachfolgeprojekt gestartet, in welchem wir bestehende Restanzen noch umsetzen und weitere Innovationen realisieren wollen. Im Rahmen vertiefter Analysen beschäftigen wir uns aktuell zum Beispiel mit der Einführung von Chatbot-/Livechat-Lösungen oder RPA-basierten Automatismen. Der Arbeitsalltag der Agenten wird sich also auch in den kommenden Jahren weiter verändern.
Die Zutaten für den Erfolg
In den erfolgreich umsetzten Projekten gab es verschiedene Erfolgsfaktoren. Wir brauchten den CEO und den Leiter BLS Personenmobilität als Fahnenträger, und wir griffen auch auf professionelle externe Reflexion zurück, welche uns in regelmässigen Abständen immer wieder den erfolgreichen Weg ausleuchteten. Die BLS ist und bleibt in seiner DNA ein Bahnunternehmen und keine Customer Care-Organisation. Ohne einen externen «Hofnarren», der uns unterstützend Feedback gab und Fach-Know how bezüglich Customer Care einbrachte, wären wir nicht so zielführend und effizient vorwärts gekommen. Da das Projekt neben der technischen Umsetzung vor allem auch einen tiefgreifenden bereichsübergreifenden Kulturwandel mit sich brachte, brauchten wir für die Realisierung und Einführung auch einen senioren Projektleiter mit vertiefter Change-Erfahrung und im Projektteam die richtigen Menschen am richtigen Ort. Vor allem aber brauchten wir ein gemeinsam getragenes Zielbild – den Leuchtturm 2022 mit dem Ziel, den besten Kundenservice im öV Schweiz anzubieten. Und natürlich brauchte es schlussendlich viel Durchhaltewillen, Anstrengung und Schweiss, um diese herausfordernden Veränderungen bei der BLS in den vergangenen Jahren erfolgreich zum Fliegen zu bringen. Und wir bleiben auch in den kommenden Jahren weiterhin am Ball.
Der Customer Circle der BLS in der Übersicht